Ich muss noch immer an die Marc Jacobs Show letzte Woche denken. Eine irgendwie düstere und doch kostbare Welt, in der die Models – allesamt mit den gleichen cool zerfledderten, aschblonden Bob-Perücken ausgestattet – ihre Runden drehten, offenbarte sich da im Video-Stream.
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Zielstrebig und allen Widrigkeiten trotzend ist der Blick, mit dem die Mädchen sicheren Schrittes – flache Schuhe, endlich! – den Ort des Geschehens, das historische 69th Regiment Armory in Midtown Manhattan durchmessen. Auf dem Boden: jede Menge Orient-Teppiche, schräg darübergelegt sandig-staubig glitzernde Stege. Als Kulisse fungieren Versatzstücke früheren Strandlebens an einer Endzeit-Küste. Akustisch wird das Geschehen von einer kurzen Schrecksequenz aus dem Weißen Hai eingeläutet und dann folgt Icct Hedral von Aphex Twin/Philip Glass, eine gleichermaßen unheimliche wie schöne Komposition.
Was da vor sich geht, ist ein faszinierendes Zusammenspiel von Gegensätzen, das seine Kraft aus der Inszenierung des Vergangenen, Ruinösen bezieht: Eine Kollektion für den Sommer, die aus fast aussschließlich aus dunklen Farbtönen und ganz viel Schwarz besteht, ein Mash-Up aus Sportswear-Schnitten und viktorianischen Zitaten, gleichzeitig heutig wie historisierend. (Das kann ja was werden, wenn die Fast Fashion Produzenten darüber herfallen.)
Aber nicht nur bei Marc Jacobs setzt man auf eine verfallene Szenerie, um die Perfektion der Silhouetten durch die Kontrastierung mit einer unvollständigen, versehrten Umgebung zu überhöhen. Auch Karl Lagerfeld arbeitete bereits bei der Chanel Haute Couture Show knapp drei Monate vorher mit Ruinen-Elementen, aus denen neues Leben/eine neue Kollektion erwacht. Models mit Charakter, wie etwa Jacobs‘ Muse (!) Jamie Bochert, steigen hier in einem scheinbar zerstörten Theater von der Bühne in den Zuschauerraum hinab und führen eine super lässig elegante Haute Couture, die ganz Chanel ist, vor.
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Klassiker wie die handgewebte Woll-Bouclé-Jacke sind in so vielen Varianten zu sehen, dass man das Gefühl bekommt, als ziehe da mindestens ein halbes Jahrhundert Lagerfeldscher Kunst komprimiert in einer einzigen Kollektion vorbei. Chanel Remixed und dabei immer ganz im Hier und Jetzt.
Aus den Bruchstücken der Vergangenheit sprießt also das Neue, doch während Jacobs mit einem eher dunklen, schummrigen Prunk liebäugelt, ist Lagerfelds Welt hell erleuchtet. Das gleißende Tageslicht fällt gnadenlos auf die grauen Trümmer der Krise, die da malerisch im Pariser Grand Palais herumliegen. Am Bühnenhorizont zeigt sich gar eine neue, modernistische Stadt. Der Vorhang schließt sich. Ganz großes Theater in beiden Fällen.