Unter dem Titel Faszination Vintage ist soeben mein Artikel für AUSTRIANFASHION.NET erschienen. Im Zuge der Recherchen habe ich einige Interviews mit Menschen, die es wissen müssen, geführt, und es ergaben sich so viele interessante Aspekte, dass ich gar nicht alle unterbringen konnte. Das ist schade, und so freue ich mich, hier einige Gedankengänge meiner Interviewpartnerinnen ungekürzt wiedergeben zu können.
Beginnen möchte ich mit Monika Seidl, Professorin für Cultural Studies und Vizestudienpräses am Institut für Anglistik der Universität Wien. 2010 initiierte sie das hervorragend besetzte internationale Symposium Fashionable Queens. Body – Power – Gender.
Flohmärkte als Party mit DJs, Swap-Events, Upcycling Workshops, Vintage- und Second Hand Shops – das Interesse an gebrauchter Mode erfreut sich großer Beliebtheit. Wie erklären Sie sich das?
Sowohl bei Flohmarkt- oder Second Hand Kleidung als auch bei Vintage Kleidung hängt die Beliebtheit sicher mit der Distanz dieser Kleidung zur schier unendlich scheinenden Reproduzierbarkeit neuer Kleidung zusammen, besonders jener, die preiswert von großen Modeketten vertrieben werden. Ein Teil aus zweiter Hand umgibt die Aura eines Originals.
Auch ein Flohmarktstück kann natürlich seinerzeit in großer Stückzahl produziert worden sein, aber zum Zeitpunkt des Ankaufs hat sich das Kleidungsstück in ein Einzelstück mit dem Mehrwert eines Originals verwandelt. Als Trägerin kann man sicher sein, dass man keinem Double begegnet, wie das bei Ware von Mango, Zara, H&M etc sehr leicht der Fall sein kann. Einfach geschnittene Teile in Primärfarben aus Kettenproduktion sind natürlich unverfänglich, aber wenn es um Muster und Modefarben geht, besteht natürlich sehr schnell die Gefahr, dass die Trägerin auswechselbar wird.
Flohmarkt, Second Hand und Vintage verweigern sich auch der Wegwerfgesellschaft sowie der ethisch nicht einwandfreien Produktion in fernen Ländern, mit der Modeketten häufig in Verbindung gebracht werden. Getragenes wieder zu tragen, gibt einem möglicherweise das Gefühl, sich dem neoliberalen Markt entzogen zu haben.
Flohmarkt und Second Hand haben diesen kulturellen Mehrwert und unterscheiden sich dadurch von Vintage Kleidern, die ja auch einen sehr hohen Marktwert haben und preislich mit hochwertiger Neuware durchaus mithalten können.
Welche Motivation vereint Celebrities und Durchschnittsmenschen auf der Suche nach alten Kleidern?
Interessant wird alte Kleidung, wenn sie an den Celebrities bemerkt und kommentiert wird und damit das Image eines Stars komplimentiert. Der jetzige Trend begann, wie allgemein bekannt, vor 10 Jahren, als Julia Roberts in einem schwarz-weißen Vintage Valentinokleid Oscarpreisträgerin für die Hauptrolle im Film Erin Brockovich wurde. Dass dieses Kleid so einschlug, verwundert nicht, denn bereits 1997 hatte Kim Basinger in L.A. Confidential eine sehr beeindruckende Auftrittsszene in einer schwarz-weißen Abendrobe.
Ein schwarz-weißes Kleid erinnert an die Zeiten der großen Stars der dreißiger und vierziger Jahre, als es noch keinen Farbfilm gab und die Diven perfekt ausgeleuchtet in schwarz-weiß das Publikum faszinierten. Die Roben in schwarz-weiß schließen an diese Tradition an und binden die Stars von heute mit dem Glanz und Glamour vergangener Zeiten.
Die Unterhaltungsindustrie spielt in diesem Zusammenhang natürlich eine tragende Rolle, indem sie wirkmächtige Identifikationsmuster vorgibt. „Alles Retro“ könnte man für viele derzeitig publikumswirksame Produktionen behaupten. Während Patricia Fields, die Stylistin von Sex in the City, die Devise ausgab – „anything goes“ – solange ein Stück Vintage dabei ist, kam dann später die Serie Mad Man völlig in Retro der späten 50er und frühen 60er Jahre daher und versucht Männer und Frauen von längst vergangenen Männlichkeits- und Weiblichkeitsidealen in Bezug auf Kleidung zu überzeugen.
Ist es nicht ein Paradoxon, wenn vergangene, altmodische – eigentlich obsolet gewordene – Mode wieder schick wird? Wie kommt es zu dieser Umwertung?
Im Bereich der Mode ist letztlich nichts wirklich obsolet; jede Zeit findet im Alten immer wieder das Neue. Das tat sie schon in der Vergangenheit als am Höhepunkt der Französischen Revolution die Mode der alten römischen Republik wieder modern wurde und Aristokratie sowie Bürgertum sich scheinbar egalitär in wallende Gewänder mit hoher „Empire“- Taille hüllten. Wichtig ist dabei immer, dass die Vergangenheit für die Gegenwart relevant gemacht wird.
Noch ein anderes Beispiel – immer dann wenn Frauen Männerrollen übernehmen, so wie während des 2. Weltkriegs, als die Männer im Feld waren und es notwendig war, dass Frauen zu Hause auch in Männerberufen arbeiteten, kommen breite Schulterpolster auf. Diese Polster imitieren die breiten Schultern der Männer und signalisieren damit Männlichkeit. Breite Schultern für Frauen gab es dann wieder in der Mode der 1980er Jahre, dem Höhepunkt der YUPPIES und DINKIES und sie stehen auch heute in Zeiten der Rezession und der Notwendigkeit des Doppeleinkommens hoch im Kurs. Kurz zurück zu Mad Men – die Mode der Wirtschaftswunderzeit kennt die Schulterpolster für Frauen freilich nicht, da ist ganz im Gegenteil die „hour glass“ – Figur mit ganz schlanker Taille, üppiger Oberweite und ausladender Hüfte ganz im Sinne einer stereotypen Weiblichkeit gefragt.
Ich würde von keiner Umwertung reden, sondern von der Bedeutsamkeit eines Bewusstseins für Zeit, was ein der Mode ureigener Aspekt ist, der mit Second Hand und Vintage stärker in den Vordergrund rückt.
Wie würden Sie Vintage definieren?
Ursprünglich bezeichnete das englische Wort „vintage“ den Ertrag, den ein Weinberg abwarf. Allerdings kam es bereits im 17. Jahrhundert zu einer Einengung des Begriffs auf seltenen und guten Ertrag eines Weinbergs. Damit bekommt vintage die Aura des Besonderen, was dem Wort auch bleibt. Während sich ein Mann im 20. Jahrhundert eher mit einem Vintage car, einer Vintage Uhr oder bestenfalls mit einem Vintage Tweedsakko schmückt, ist die Vintage Mode, so wie wir sie heute verstehen, eher eine weibliche Domäne.
Eine Sache finde ich bei der Begriffsbestimmung noch interessant: Man hat den Eindruck, dass die wahre Vintage Mode, wie das berühmte Kleid von Julia Roberts, Markenmode ist. Gucci, Chanel oder eben Valentino muss es schon sein, damit auch der Glamour-Faktor passt.
Was aber ist mit den von Schneiderinnen und Schneidern gefertigten Kleidern? Schließlich war es bis weit in die 1970er Jahre in besseren Kreisen durchaus üblich, sich von Schneiderinnen des Vertrauens einkleiden zu lassen. Denn nur dann wurde wirklich auf Figur angepasst, und das gute Stück saß wie angegossen; sollte sich die Figur verändern, musste eben auch die Schneiderpuppe mit Pölsterchen an gewissen Stellen mitwachsen. Sind diese handgefertigten, auf Figur gearbeiteten Teile heute genau so gefragt wie Markenmode?
Vintage Mode im Sinne von Schneidermode zu tragen, heißt ja dann, sich an fremde Körper außerhalb der Größennorm anzupassen. Die Menschheit schießt ja bekanntlich in die Höhe, ist dann Vintage die Domäne der Kleinen? Vielleicht erklärt diese enge Bindung von Vintage an vergangene Körper die Tatsache, dass Vintage Mode stark weiblich konnotiert ist. Kein ausgewachsener 18-jähriger wird sich in den Sonntagsanzug meines Großvaters zwängen können und dabei dem Reiz von Dreiviertelhosen erliegen. Für Männer kommt wahrscheinlich Vintage nur in Form von Leder, Militär oder eben Tweed in Frage.
Tragen Sie persönlich Vintage?
Ich habe ein paar Stücke von meiner bereits verstorbenen Mutter und Tante, die ich gerne trage, weil sie in diesen Kleidern weiterleben. Die beiden Frauen waren kleiner als ich, sodass sich die Möglichkeiten sehr einschränken. Allerdings habe ich ein Lieblingsstück, das ich gerne ausführe, einen Anorak aus den 30er oder 40er Jahren, schwarz, rot abgesteppt und aus schwerem Baumwollmaterial, sehr weit und komfortabel geschnitten und sogar die Ärmel sind mir nicht zu kurz. Auch muss ich zugeben, dass man ab einem gewissen Alter selbst Vintage im Kasten hat. Qualitätsvolle Arbeit überdauert Jahre und gehört, um eine Prägung Susanne Bisovskys zu verwenden, zur ganz persönlichen „Everlasting Collection“.
Nochmals vielen Dank für das Interview!
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