Meine Mutter steckt in einer Krise. Und ich stehe neben meinen Schuhen. Weil es grad so aktuell ist und meine Mutter mich so plagt, sollt ihr wissen: Zur Zeit muss ich immer wieder mit ihr Arztbesuche wahrnehmen. Früher war’s so: Sie genierte sich für mich bzw. meine Kleidung. Heute ist es öfters auch umgekehrt.
Letzten Donnerstag kam sie eine geschlagene Stunde zu spät zum Privat-Arzttermin. Ich brave Tochter schichtete drei Besprechungen um, damit meine Begleitung überhaupt erst realisiert werden konnte. Als sie dann endlich aufttauchte, bereute ich zum 1000 Mal meine Digitalkamera nicht dabei zu haben. Dazu müßt ihr wissen: Mutter ist so groß wie ich (um die 172 cm) und wiegt halb so viel. (Naja, sie hat 45 kg und ich 60 kg. Grund genug, um mich immer wieder als Walküre zu titulieren …).
Zur braunen löchrigen Uralttrainigshose – ich glaube, diese stammt noch aus meiner Studentenzeit – und schwarzen Charlie Chaplin-Sämischlederschuhen mit extrem runden Kappen trug sie einen engen schwarzen Blazer. Auch der stammt von mir. Ich hab ihn, als ich auf Jobsuche war und in einer Depression steckte, mal zum halben Preis bei Schöps erworben. Und genauso sieht dieses Sakko auch aus: traurig, billig, schiach. Um dem Arzt nicht in die Augen schauen zu müssen behielt sie auch in den Praxisräumen die ultradunkle Sonnenbrille auf. (Und erinnerte mich dabei an die alternde Gottheit Greta Garbo!)
Nicht, dass ihr denkt, ich bemühte mich nicht auch um das optische Wohl meiner Mutter: Neben den obligaten Faltencremes am Muttertag schenke ich ihr zu Weihnachten altersgemäße neue Damenkleidung und zwischendurch auch gern meine ausgemusterten Gewandungen. Nur, das alles will sie nicht! Viel lieber geht sie am Flohmarkt auf Schnäppchenjagd und fröhnt dem dort billigst erstandenen Gypsy-Stil. Manchmal bin ich versucht zu glauben, daß sich gerade in unseren extremen und extrem divergierenden Kleidungsstilen unsere (Geistes-)Verwandtschaft zeigt…
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